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15.12.2024 : 0:28 : +0100

Zehn Monate Widerstand in Oaxaca

Bei der Ankunft in Oaxaca, der Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaates,  bluehten wie vor sechs Jahren  (www.kakanien.com/mexiko010.htm) die Jacarandas, aber die Stadt war nicht mehr dieselbe: An vielen Haeuserwaenden, an denen wir mit dem Taxi vom Busbahnhof ins Zentrum vorbeifuhren, waren die Protestparolen der letzten zehn Monate uebermalt, am Zócalo, dem zentralen Platz, wurden sie gerade mit Dampfstrahlern entfernt, am Rand jeder Zufahrtsstrasse zum Platz standen PolizistInnen und Absperrgitter und die Fensterscheiben im Gouverneurspalast waren noch teilweise eingeschlagen. Die Stadt versucht zwar Normalitaet vorzuspiegeln, zB gab’s waehrend der drei Tage mehrere Konzerte am Zócalo, aber die Atmosphaere war eigenartig.

Eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse (entnommen aus den Berichten der internationalen Menschenrechtsorgsanisationen fidh / Federación Internacional de los derechos humanos, No 461/3 Octubre 2006, Oaxaca: Conflicto social y violaciones a los derechos humanos und Servicio Internacional para La Paz, S!Paz, Informe, Noviembre 2006, Año XI, No 4 und einem Brief des fidh-Praesidenten Sidiki Kaba aus Paris vom 15. 12. 06):

Oaxaca ist neben Chiapas und Guerrero einer der aermsten Bundesstaaten Mexikos, nicht zufaellig weisen alle drei den hoechsten Anteil (ca. 30 %) an indigener Bevoelkerung auf. 2004 gewann Ulises Ruiz (von der Partei PRI) mit einem knappen Vorsprung und – wie in México ueblich – unter dem Verdacht der Wahlfaelschung die Gouverneurswahlen. Soziale Bewegungen von Bauern und Indígenas wurden unter seiner Regierung gewaltsam unterdrueckt, in einem Monat wurden 31 MitarbeiterInnen der kritischen Zeitung Noticias entfuehrt. (Laut einem Bericht der Zeitung La Jornada vom 2. 2. 07 ist kritische Medienarbeit in México ueberhaupt gefaehrlich, im Jahr 2006 wurden neun Pressemitarbeiter getoetet und drei “verschwanden”.) Waehrend der Praesidentschaftswahlen 2006 wurden die BuergermeisterInnen, die nicht von der PRI waren, von der Regierung Ruiz erpresst, dass sie die Kandidatur des PRI-Kandidaten unterstuetzen, andernfalls sie vom PRI-dominierten Kongress des Amtes enthoben wuerden. So weit eine Liste von Vorkommnissen waehrend der Regierungszeit des Gouverneurs, die den Verlauf der folgenden Ereignisse teilweise erklaeren.

Am 22. Mai 2006 begannen in diesem Bundesstaat LehrerInnenproteste und Streiks zur Durchsetzung der Forderungen nach hoeheren Loehnen und von  bildungspolitischen Anliegen wie Unterstuetzung fuer sozial schwache SchuelerInnen und Verbesserungen der Infrastruktur an den Schulen. In deren Verlauf wurde der zentrale Platz vor dem Gouverneurspalast in der Hauptstadt besetzt, der nach 23 Tagen, am 14. Juni, auf Anweisung von Ulises Ruiz von 3500 Polizisten und Feuerwehrleuten gestuermt wurde. Die Bilanz dieser Reaktion auf einen “pazifistischen Protest” (“protesta pacífica” laut fidh) waren 4 Tote und circa hundert Verletzte. Fidh schreibt dazu (in unserer Uebersetzung): “Die Gewalt war unverhaeltnismaessig gegenueber dem Widerstand der Menschen, die sich zu entfernen versuchten …” Doch dieses (neuerliche) gewaltsame Vorgehen  der Regierung hatte zur Folge, dass sich der soziale Protest ausweitete, dreihundert unterschiedliche Organisationen (soziale und parteinahe Organisationen, Gewerkschaften, indigene Vereinigungen) schlossen sich zusammen in der Asamblea Popular de los Pueblos de Oaxaca / APPO, nahmen die Stadt Oaxaca praktisch unter ihre Kontrolle, und die APPO fungierte als “Regierung im Widerstand”. Aehnliches  passierte in weiteren 20 Gemeinden im Bundesstaat. Die wichtigste Forderung dieses Widerstands war der Ruecktritt des Gouverneurs, der seinen Amtssitz nach auswaerts verlegen musste. Da gerade die Praesidentschaftswahlen anstanden, verhielt sich die Bundesregierung abwartend und war nach dem 2. Juli wegen der anschliessenden Unklarheiten ueber den Wahlausgang (der PAN-Kandidat gewann letztendlich offiziell mit einem Vorsprung von 4183 Stimmen) unschluessig ueber geeignete Massnahmen.  Am 27. Oktober gingen die Polizei von Oaxaca und “von der Regierung zusammengestellte, ausgebildete und bewaffnete Gruppen” (lt. S!Paz) gegen die Protestbewegung im Land vor, ermordeten vier weitere Personen und verletzten 26.  Dies nahm nun die Bundesregierung (Noch-Praesident Fox) zum Anlass, am 29. Oktober ueber 4000 Bundespolizisten nach Oaxaca zu schicken und die zentralen Plaetze und Strassen der Stadt einzunehmen. Die Operation kostete (nach Angaben der APPO) wieder vier Menschen das Leben (nach offizieller Variante gab es keine Toten) und der fidh-Praesident schrieb in einem Protestbrief am 15. 12., dass “36 Maenner, Frauen, Kinder und alte Menschen festgenommen und schwer geschlagen wurden. Wohin sie gebracht wurden, ist unbekannt. Die Mexikanische Liga zur Verteidigung der Menschenrechte bestaetigt, dass mehr als drei Personen an den Schlaegen bisher gestorben sind, darunter ein Kind.“ Ueber die Bilanz des Vorgehens der “Sicherheitskraefte” seit Mai gibt es unterschiedliche Angaben. Die Comisión Civil Internaciónal de Observación de Derechos Humanos (CCIODH) berichtet von 23 Toten, die Nationale Menschenrechtskommission von 20, die Regierung von 11 (lt. Tageszeitung La Jornada vom 7. Maerz 07). Seit November “sorgen” die “Sicherheitskraefte” wieder fuer “Ordnung” in der Stadt, aber die Proteste gehen weiter. Obwohl einige ihrer FuehrerInnen verhaftet sind, hat die APPO seither schon mehrmals Protestmaersche durchgefuehrt und die LehrerInnen befinden sich weiterhin im Streik. (Nicht ganz vergleichbar mit Oesterreich, aber doch interessant: Den LehrerInnen-Streik organisiert die Sektion 22 der nationalen Bildungsgewerkschaft, und PRI-LehrerInnen haben jetzt einfach die Sektion 59 gegruendet, die mit der Bildungspolitik der Regierung Ruiz einverstanden ist.) Die Webseite der APPO: www.asambleapopulardeoaxaca.com

La Jornada vom 4. und 7. Maerz 07 berichtet, dass die Interamerikanische Menschenrechtsorganisation und die CCIODH feststellen, dass sich nach wie vor 62 AktivistInnen der Protestbewegung in Haft befinden, teilweise ohne konkrete Anschuldigungen.

Allgemein zum mexikanischen Justizwesen, teilweise am Beispiel Oaxaca: Das mexikanische Buero des Hochkommissariats fuer Menschenrechte der UNO untersuchte den Zugang von Indigenas zum Recht in Oaxaca und befragte 1030 Insassen von Gefaengnissen. 15 Prozent gaben an, gefoltert worden zu sein (La Jornada vom 8. Maerz 07). In der oben zitierten S!Paz-Broschuere ist auch ein Bericht ueber das Justizwesen in Mexiko enthalten. Es wird darauf hingewiesen, dass unter anderem AI,  Human Rights Watch und die UNO aufzeigen, dass Folter in Mexiko weiterhin allgemein ueblich ist. Nach einem Bericht eines UNO-Sonderbeauftragten aus dem Jahr 2001 bleiben 95 bis 98 % der Folterer straflos. Teilweise werden unter der Folter Gestaendnisse erpresst, die vor Gericht weiterhin als Beweise gelten. (Ein Reformvorschlag des mexikanischen Strafrechts von Praesident Fox, nach dem vor der Polizei gemachte Gestaendnisse vor Gericht wiederholt werden muessen, wurde vom Senat abgelehnt.) Weiterhin koennen Menschen 60 Tage ohne konkrete Anschuldigungen festgehalten werden. Der Sonderbeauftragte stellte darueber hinaus fest, dass 50 bis 70 % der Richter auf Bundesebene korrupt sind.

Es gibt aber auch etwas Positives: Was sich im Gegensatz zur Stadt nicht veraendert hat, sind die imposanten Ruinen von Monte Alban. Am Sonntag in der Frueh gehoerten wir zu den ersten BesucherInnen, noch dazu bei freiem Eintritt. Die Anlage liegt auf einem Bergplateau mit herrlichem Blick auf die umliegenden Taeler und die Stadt Oaxaca. Monte Alban (der urspruengliche Name ist wie so oft unbekannt1) war die erste geplante Stadtanlage Mexikos (die Urspruenge gehen zurueck ins 2. Jh. v. Chr.) und ist damit aelter als Teotihuacán noerdlich von Mexiko-Stadt. Eine Hochbluete erlebte Monte Alban unter den Zapoteken im 7. und 8. Jahrhundert, bevor die Stadt von ihnen (wieder aus unbekannten Gruenden) im 9. Jahrhundert verlassen wurde. In den folgenden Jahrhunderten setzten sich die einwandernden Mixteken als fuehrendes Volk durch und fuehrten die Bautaetigkeit in der Stadt fort.

Die Mehrheit der indigenen Bevoelkerung Oaxacas sind heute Zapoteken und Mixteken, der beruehmteste Zapoteke ist Benito Juárez, der einzige indigene Praesident Mexikos (1858 – 1872). Sein Widersacher war Maximilian von Habsburg (Bruder von Kaiser Franz Joseph), der von Franzosen und der konservativen Partei als Monarch eingesetzt und der nach dem Sieg der Liberalen ueber die Konservativen und die Invasoren 1867 in Queretaro hingerichtet wurde.

Das Busunternehmen Primera Plus fuehrte uns an Queretaro vorbei: Wir wollten von Oaxaca nach Guadalajara. Eine direkte Busverbindung gibt es nicht, wir mussten nach Mexiko-Stadt (6 Stunden Fahrt) und dort umsteigen.  Da wir keine weiteren (mindestens) 7 Stunden anhaengen wollten, suchten wir Morelia als Zwischenstopp aus. Vom Nordterminal aus fahren die Busse offenbar ueber Queretaro, was fuer uns wieder einmal eine ueberraschende Streckenfuehrung war, weil es relativ weit im Norden, Morelia hingegen im Westen von Mexiko-Stadt liegt. Morelia, die im Zentrum elegante Hauptstadt von Michoacán, hat uns gut gefallen.

Inzwischen sind wir auch schon eine Woche in Guadalajara, aber das ist wieder eine andere Seite.

¡Hasta luego!                                                   15. Maerz 2007

 

1) Ergaenzung 4. 4.: Einer Informationstafel des Anthropoligischen Museums in Mexiko-Stadt entnahmen wir den Hinweis, dass der Name von Monte Alban wahrscheinlich Berg des Jaguars war.

Jacaranda in Oaxaca
2 der noch nicht uebermalten Aufschriften
"Hinaus mit URO, Ratte" (= Ulises Ruiz Ortiz, der Gouverneur)
Dampfstrahler vor der Kathedrale
Polizei an Zufahrtsstrasse zum Zócalo
Zócalo Anfang Maerz mit Musikkapelle & Donauwalzer
Monte Alban
... mit Blick auf Oaxaca
Juárez (4. v. links), unten mit blondem Vollbart Maximilian (Mural von Alfredo Zalce im Regierungspalast in Morelia)