Österreichs LehrerInnen überdurchschnittlich engagiert und weit unterdurchschnittlich unterstützt
Offener Brief der Vorsitzenden der 5 LehrerInnen-Gewerkschaften an BM Schmied wegen Missinterpretation TALIS-Studie
DIE VORSITZENDEN DER LEHRERGEWERKSCHAFTEN IN DER GEWERKSCHAFT ÖFFENTLICHER DIENST
Wien, 20. Mai 2010
Sehr geehrte Frau Bundesministerin!
Sie haben in unserem letzten Gespräch zugesagt, dass Sie sich für eine Verbesserung des Images der Lehrerinnen und Lehrer einsetzen werden.
Seit vorgestern kursieren in zahlreichen Medien Meldungen über Dienstpflichtverletzungen von Lehrerinnen und Lehrern als angebliches Massenphänomen. Ausgangspunkt dieser diffamierenden Berichte sind unkorrekte Aussagen des BIFIE zur TALIS-Studie.
Angesichts des tatsächlichen Inhalts der TALIS-Studie, die wir gleich nach ihrem Erscheinen 2009 intensiv analysiert haben, wird diese Kampagne zur weiteren Schädigung des Ansehens der Lehrerinnen und Lehrer auf das Schärfste zurückgewiesen.
Wir fordern Sie, sehr geehrte Frau Bundesministerin, dringend auf, Ihrem Versprechen nachzukommen und die Öffentlichkeit umgehend über die tatsächlich in der TALIS-Studie erforschten Fakten zu informieren.
Die tatsächlichen TALIS-Fakten finden sich nicht nur in Publikationen der Gewerkschaft, sondern durchaus auch im vom BIFIE im Juni 2009 publizierten nationalen TALIS-Bericht, der in der BIFIE-Veranstaltung am Montag-Abend tendenziös uminterpretiert wurde.
Was TALIS wirklich sagt:
Professionelles Engagement
Österreichs LehrerInnen investieren um ein Drittel mehr Zeit in die Vorbereitung des Unterrichts, als dies in den anderen Staaten der Fall ist.
Die weit über das internationale Maß hinausgehende Gewissenhaftigkeit wird Österreichs LehrerInnen durch ihre SchulleiterInnen explizit bestätigt. Das hat auch das BIFIE in seinem TALIS-Bericht vom Juni 2009 korrekt erkannt und hervorgehoben:
„Mangelnde Vorbereitung auf den Unterricht und Zuspätkommen von Lehrkräften werden von Österreichs Schulleiterinnen und -leitern als wesentlich weniger problematisch eingeschätzt als im OECD-/EU-Schnitt.“
Beschämende Rahmenbedingungen
Österreichs LehrerInnen werden mit ihren Aufgaben alleingelassen wie die LehrerInnen keines anderen Landes. Österreich belegt nämlich in der Kategorie „Unterstützungspersonal an den Schulen“ unter allen TALIS-Teilnehmern mit großem Abstand den allerletzten Platz:
Beim pädagogischen Unterstützungspersonal kommen auf eine Person 24 LehrerInnen (im internationalen Mittel sind es nur 13 LehrerInnen).
Beim administrativen Unterstützungspersonal kommen auf eine Person 23 LehrerInnen (im internationalen Mittel sind es nur 8 LehrerInnen).
Dementsprechend hat das BIFIE noch im Juni 2009 völlig richtig festgestellt:
„Österreich liegt mit diesen Zahlen weit abgeschlagen hinter den anderen teilnehmenden OECD-/EU-Ländern.“
Bezüglich des „allgemein unterstützenden Personals“, also z. B. der SchulpsychologInnen und SozialarbeiterInnen, interpretierte das BIFIE die TALIS-Ergebnisse im Juni 2009 ebenfalls vollkommen korrekt:
„Beinahe 80% der österreichischen Lehrkräfte unterrichten in Schulen, in denen der Unterricht aus Sicht der Schulleiter/innen durch einen solchen Mangel (Anm: an allgemein unterstützendem Personal) beeinträchtigt wird.“
Fortbildung
Ein BIFIE-Zitat vom Juni 2009 sei an die Spitze gestellt: „Österreichs Lehrer/innen sind grundsätzlich fortbildungsfreudig. Trotzdem gibt fast die Hälfte der Lehrpersonen an, noch mehr Fortbildung besuchen zu wollen.“
Österreich gehört zu den Ländern mit dem höchsten Anteil an LehrerInnen, die Fortbildung besuchen. Österreichs LehrerInnen weisen auffallend viele freiwillige Fortbildungstage auf. Sie bilden sich gerne fort und würden gerne noch mehr Fortbildung besuchen.
Das BIFIE kam den Fakten entsprechend im Juni 2009 zu folgendem Schluss: „Zusammenfassend ist festzustellen, dass die österreichischen Lehrer/innen großen Fortbildungswillen haben, dass aber das Angebot nicht mit der Nachfrage übereinstimmt.“ (nationaler TALIS-Bericht, Seite 38)
Wir erhoffen uns jedenfalls eine unverzügliche Reaktion, um den in der Öffentlichkeit bereits angerichteten Imageschaden so rasch und so weit wie möglich zu reparieren.
Albert Arzt, Vorsitzender BV 12 (Berufsschulen)
MMag. Jürgen Rainer, Vorsitzender BV 14 (BMHS)
Ing. Friedrich Rinnhofer, Vorsitzender BV 27 (Landwirtschaftsschulen)
Walter Riegler, Vorsitzender BV 10 (APS)
Mag. Eva Scholik, Vorsitzende BV 11 (AHS)
Und hier die Aussendung des BIFIE. LG Gary
APA0221 5 II 0463 XI Di, 18.Mai 2010
Schulen/Lehrer/Studie/OECD/Grafik
Disziplinlosigkeit bei Lehrern ebenso häufig wie bei Schülern
Utl.: Laut Angaben von Schuldirektoren bei OECD-Studie TALIS - Erziehungswissenschafter Eder für Auswahl "gewissenhafter" Lehrer
Wien (APA) - Schwänzen und Zuspätkommen ist an österreichischen Hauptschulen und AHS laut Direktoren bei Lehrern ebenso häufig ein Problem wie bei Schülern. Das zeigt die vertiefende Analyse der Österreich-Ergebnisse der ersten OECD-Lehrerstudie TALIS (Teaching and Learning International Survey), deren Ergebnisse am Montagabend vom Bundesinstitut für Bildungsforschung (BIFIE) präsentiert wurden.
Demnach beeinträchtigt an 21 Prozent der 248 untersuchten Schulen die Abwesenheit von Lehrern das Lernen (Kategorien: "sehr" und "in einem gewissen Ausmaß"), an 15 Prozent der Schulen erscheinen die Pädagogen laut Direktoren schlecht vorbereitet zum Unterricht und an acht Prozent der Standorte kommen sie zu spät.
Für Studienautor Ferdinand Eder, Erziehungswissenschafter an der Uni Salzburg, war das Ausmaß an Disziplinlosigkeit unter Lehrern überraschend groß. Eine mögliche Erklärung: An den betroffenen Standorten herrscht eine Schulkultur, die solches Verhalten ermöglicht. Andererseits könnten auch Burnout-Erscheinungen bei Lehrern durch Überforderung Schuld daran sein, dass diese "einfach die Kraft und Liebe zur Lehrtätigkeit verloren haben", so Eder. Er stellte allerdings auch in Frage, wie verlässlich die Angaben der Direktoren seien.
Mangelt es bei den Lehrern an Disziplin, kommen Disziplinlosigkeiten unter Schülern deutlich häufiger vor. Insgesamt beklagen 59 Prozent der Direktoren, dass Schüler den Unterricht "sehr" oder "bis zu einem gewissen Ausmaß" stören, 48 Prozent berichten von vulgärer/ordinärer Ausdrucksweise, 30 Prozent von Vandalismus und 36 Prozent von "Bullying" (Bedrohen von Mitschülern). Eder fordert daher, dass Lehrer sich ihrer Vorbildfunktion und ihrer besonderen Verantwortung bewusst sein müssen. "Disziplinlosigkeit ist einfach unprofessionelles Verhalten. Professionalität kann man auf jeden Fall verlangen."
Eder pocht darauf, dass Gewissenhaftigkeit und die Bereitschaft, Regeln einzuhalten, ein Kriterium dafür sein muss, ob jemand künftig die Ausbildung zum Lehrer beginnen darf. Die These von der "Berufung" zum Lehrer will er damit nicht unterstützen. Aber: "Wenn wir schon auswählen können, ist es vernünftiger, die zu nehmen, die man nicht mehr erziehen muss."
Ein weiterer Hebel, um Disziplinlosigkeit bei Lehrern zu unterbinden, wäre aus Eders Sicht, den Direktoren zu ermöglichen, bei Fehlverhalten Sanktionen zu setzen. Diese gebe es zwar heute schon, "aber es sind wenige Fälle bekannt, wo das auch durchgezogen wurde". Disziplinlosigkeit der Schüler nimmt laut Studie außerdem dann ab, wenn sich Direktoren nicht nur als Verwalter begreifen, sondern auch als pädagogische Leiter und außerdem die Zusammenarbeit der Lehrer untereinander fördern.
"Keineswegs glücklich" ist Eder über ein weiteres Ergebnis der Studie:
An Schulen mit konstruktivistischem Unterricht, bei dem die Schüler aktiv ihren eigenen Lernweg suchen sollen, gibt es ebenfalls häufiger Disziplinprobleme. "Offener Unterricht kann polarisierend wirken", so Eders Schlussfolgerung. Für Schüler, die im Elternhaus unterstützt werden, ist er gut. Schlechte Schüler hätten allerdings Probleme beim eigenständigen Organisieren des Lernens und stören dann den Unterricht.
(Schluss) jle/aku/ks - APA0221 2010-05-18/11:35