Matura auf zwei Niveaus
und 2 andere Beiträge von KollegInnen zur Diskussion über die Maturareform.
Im ersten Beitrag wird vorgeschlagen, bei der künftigen zentralen Matura jeweils 2 Niveaus anzubieten: Das Standardniveau, das den Universitätszugang ermöglicht, und ein höheres für weitere Qualifikationen.
Im zweiten Beitrag wird an einem Beispiel (HLW-Mathe) das unbedachte Vorgehen bei der Einführung der vielfach so genannten Zentralmatura angeprangert.
Im dritten Beitrag wird (statt oder neben dem Maturazeugnis) ein Abschlusszeugnis vorgeschlagen, in dem auch die Entwicklung der Schülerin oder des Schülers in den Jahren vor dem Schulabschluss sichtbar wird.
Matura auf zwei Niveaus
Es gibt in der Schule derzeit zwei Entwicklungen: Die Standardisierung der Prüfungen bei gleichzeitiger Individualisierung der Lernprozesse. Die Standardisierung hat einen großen Vorteil: LehrerInnen würden nicht mehr Zensuren geben, sondern könnten von den SchülerInnen wie Trainer erlebt werden. „Geschenke“ gibt es nicht mehr. Der Nachteil: Gesamtösterreichische Standards müssen auf Kernstoff reduziert und Basiswissen werden.
Die Individualisierung hat ihre Grenzen, wenn der Standard zum Schluss für alle gleich sein soll.
Ich schlage daher vor, allen SchülerInnen bei allen Maturagegenständen zwei Niveaus anzubieten.
Jede und jeder soll bei der Anmeldung zur Matura entscheiden können, auf welchem Niveau sie oder er antritt. Im derzeitigen System ist es den LehrerInnen nicht zuzumuten, zwei unterschiedliche Aufgabenstellungen zusammenzustellen. Gesamtösterreichisch sollte das kein Problem sein.
Da wir in den einzelnen Schultypen unterschiedliche Schwerpunkte und damit unterschiedliche Anzahl von Wochenstunden in den einzelnen Fächern haben, wären Reifeprüfungen auf verschiedenen Niveaus sowieso sinnvoll. Zwei Beispiele:
Im Realgymnasium gibt es mehr Mathematikstunden als in einem Neusprachlichen Gymnasium oder in einer BAKIP. Sowohl in der HAK als auch in der HLW wird Rechnungswesen unterrichtet, in der HAK allerdings mit höherer Wochenstundenanzahl.
SchülerInnen entwickeln sich im Laufe der Oberstufe. Manche entdecken ihre Liebe zur Mathematik, obwohl sie im Neusprachlichen Gymnasium sitzen und sollten z.B. das höhere Niveau des Realgymnasiums wählen können. Umgekehrt könnte es in Realgymnasien SchülerInnen geben, die lieber auf dem Basisniveau antreten würden, weil sie sicher sind, die Schulmathematik ihr Leben lang nicht mehr zu brauchen. Mit einer Zentralmatura auf zwei Niveaus könnte beiden Wünschen entsprochen werden.
Vorbild für diese Wahlmöglichkeit ist das Cambridge-Zertifikat. Hier werden mehrere unterschiedliche Prüfungsniveaus angeboten. Die SchülerInnen können wählen, auf welchem Niveau sie antreten.
Wenn es zwei Niveaus gibt, könnte man die Notenskala vereinfachen auf:„nicht bestanden“, „bestanden“, „mit Auszeichnung bestanden“.
Mit den unterschiedlichen Niveaus könnten unterschiedliche Berechtigungen verbunden sein:
Das untere Niveau soll prinzipiell zum Studium berechtigen.
Das höhere Niveau könnte Voraussetzung für Vorteile für bestimmte Studienrichtungen sein und dort z.B. eine Einführungsvorlesung (z.B. in Rechnungswesen) ersetzen. Dass sollte nicht von LehrerInnen der höheren Schulen allein definiert werden, sondern in Kooperation mit den jeweiligen Fakultäten.
Die Wahlmöglichkeit bei der Matura würde sich auf die Lernprozesse auswirken.
Soll auf – zum gewählten Schultyp – höheren Niveau maturiert werden, können entsprechende Förderkurse angeboten werden. Es würde dann mehr Förderung der besseren SchülerInnen stattfinden, die ja heute vielfach gewünscht wird.
Die unterschiedlichen Niveaus wären auch für das lebenslange Lernen sinnvoll. Wer sich z.B. in einer Sprache, für das einfachere Niveau entscheidet, kann das höhere später absolvieren.
Durch das Angebot einer Matura auf zwei Niveaus ließen sich jedenfalls die Prinzipien der Individualisierung und Standardisierung weitgehend kostenneutral verbinden.
Georg König, koenig@oeli-ug.at
Schulreform mit „dem Wilden“: Schnell, aber ziellos
„I hob zwar ka Ahnung wo i hinfahr, awa dafia bin i gschwinda dort!“
Österreichs Bildungssystem gilt – dank PISA-Tests, OECD-Studien und Unkenrufen der nationalen Presse – als alt, schlecht und reformbedürftig.
Lehrerinnen und Lehrer werden gerne als Buhmänner und –frauen der Nation dargestellt: faul, unterbeschäftigt und politisch übermotiviert, überdies als „Maurer“ und „Blocker“ gegen Veränderungen.
Dass vieles reformiert werden muss, steht fest. Dass dabei aber der Boden des Rechsstaates verlassen werden muss und weder vernünftige Planung noch seriöse Vorgehensweise auf der Tagesordnung stehen müssen, ist schlicht und einfach nicht wahr. „Verantwortung“ ist ein Begriff, der bei den „Verantwortungsträger/innen“ offenbar nicht mehr wirklich ernst genommen wird.
Jüngstes Beispiel für eine Vorgehensweise, wo ich als demokratisch gesinnter, dem Rechtsstaat verpflichteter Bürger der Republik Österreich mich nicht genug wundern kann, ist die teilzentrale, kompetenzorientierte Reife- und Diplomprüfung, gerne „Zentralmatura“ genannt.
In den humanberuflichen Schulen war bisher eine schriftliche oder mündliche Matura aus Mathematik nicht verpflichtend. Mit der Zentralmatura soll sie aber Pflicht werden.
In den meisten HBLWs – auch ich bin Lehrer an einer solchen Bildungsanstalt – wird Mathematik bislang nur vom ersten bis zum vierten Jahrgang unterrichtet, im Ausmaß von je zwei Wochenstunden pro Schuljahr. Im fünften Jahrgang, an dessen Ende die Matura steht, maturieren dann einige Schüler/innen gerne mündlich in Mathematik. Diese Schüler/innen wählen Mathematik aber freiwillig.
So weit, so gut. Die verpflichtende Matura in Mathematik – ob nun schriftlich oder mündlich oder wahlweise in einer Variante, steht noch nicht fest – soll mit der Zentralmatura kommen. Also für jene Schüer/innen, die im Herbst 2010 mit der HBLW beginnen!
Wir Lehrer/innen wissen aber so gut wie gar nichts von der Zentralmatura. Außer, dass sie (ziemlich) sicher kommen wird. Und zwar 2015 in den BHS.
Jeder Mensch, der ein bisschen denken kann, wird sich sagen: „In Mathematik zu maturieren, ohne im fünften Jahrgang dieses Fach im Unterricht gehabt zu haben, ist vollkommen schwachsinnig!“
Aber das Ministerium hat sich dazu nichts überlegt. Oder zumindest nichts anderes, als den Schulgemeinschaftsausschüssen die Entscheidung zu überlassen – also die Verantwortung abzuschieben. Ziemlich schäbig, finde ich.
Ich denke genau so wie die Mehrzahl meiner Kolleg/innen an den BBS Kirchdorf: Wir spielen dieses Spiel nicht mit! Wir machen uns nicht zu Beifahrern auf diesem Motorrad des „Wilden“ (von Helmut Qualtinger), dessen Ziel zwar schnell erreicht werden soll, das aber – leider – nicht bekannt ist. Wir lassen uns nicht wie viele andere Lehrkörper von HBLWs dazu überreden, doch „im Sinne der Schüler/innen“ hier eine Stunde vom Fach X und dort eine Stunde vom Fach Y für Mathematik zu opfern. Wenn das Ministerium Mathematik als verpflichtendes Matura-Fach einführen will, muss es auch zusätzlich zwei Stunden für dieses Fach zur Verfügung stellen. Das bedeutet zusätzliche Ressourcen, vor allem Kosten. Ja, Bildung kostet. Aber dieses Geld ist gut und richtig investiert!
Und es wäre hoch an der Zeit, dass die „Verantwortungsträger“ in Politik und in den zuständigen Ministerien eine zeitliche Planung ins Auge fassen, die den Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaates entsprechen und nicht den chaotischen Zuständen einer Bananenrepublik!
Mag. Ambros Gruber, BBS Kirchdorf an der Krems, ambros@oeli-ug.at
-------- Original-Nachricht --------
Betreff: Ohne Matura gehts auch. Datum: 19 May 2010
Von Markus Strobl an fuchsbauer@oeli-ug.at
Werter Kollege,
habe gerade Ihren Kommentar zur Zentralmatura im Kreidekreis 4/2010 gelesen mit der Aussage, dass ohne Matura mehr wertvolle Unterrichtszeit übrig bleiben würde. Dem stimme ich voll und ganz zu!
Da ich gerade wieder im jährlichen Maturatheater und entsprechendem Frust drinnen bin, hier noch eine Ergänzung meinerseits: am Ende der 12. bzw. 13. Schulstufe sollten die Schüler nicht nur das Zeugnis der letzten Schulstufe erhalten, sondern ein Abschlusszeugnis, wo alle Daten aller Schulstufen der letzten Schulart aufgelistet sind. So würden Fächer wie GS, GW, PH/CH (=NATWI in Zukunft), die vor der 5. Klasse in der HTL enden, endlich einen größeren Stellenwert haben, da sie dann auch im Abschluss/Matura-Zeugnis aufscheinen. Auch sind so Entwicklungen einsehbar. Wenn jemand in Mathematik sich am Anfang schwer getan hat, dann aber zB aufgrund größerer Reife besser geworden ist, ist dieser beachtenswerte Aufwärtstrend auch feststellbar. Und die Einmalleistung Matura mit ihren Rahmenbedingungen von schlaflosen Nächten bei Eltern und SchülerInnen aufgrund des seit Jahrzehnten aufgebauten Charakters des Besonderen dieses Ereignisses wäre damit sicherlich obsolet.
LG Markus Strobl