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12.2.2025 : 9:09 : +0100

SchriftstellerInnen gegen geplante Deutsch-Zentralmatura

Aktiennotiz von einem Gespräch BIFIE - IG AutorInnen und Stellungnahme der IG Autorinnen Autoren

Aktennotiz zum Gespräch im BIFIE am 3. Dezember 2009: 9 Uhr – 10 Uhr 20:

Anwesend: Mag. Dr. Karl Blüml, Mag. Dr. Ludwig Laher, Mag. Josef Lucyshyn, Gerhard Ruiss (bis 9 Uhr 40), Mag. Andreas Schatzl, Prof. Renate Welsh-Rabady

Die wesentlichen Aussagen der Herren Blüml, Lucyshyn und Schatzl:

Die Erarbeitung der zentralen schriftlichen Reifeprüfung in Deutsch obliegt dem Kompetenzzentrum für Deutschdidaktik in Klagenfurt (Annemarie Saxalber-Tetter, Leiterin des AECC Deutsch).

Die momentane Situation, was die schriftliche Deutsch-Matura anlangt, sei höchst unbefriedigend (äußerst unterschiedliche Themenstellungen, Qualität, Noten), vielfach würden die Themen vorher eingeübt und mehr oder weniger reproduziert. Maturavorsitzende würden gegen das Votum des Kollegiums wenig ausrichten können (Lucyshyn).

Nach dem Willen des Gesetzgebers sei nur noch eine einzige Aufgabenstellung für AHS und BHS zu konzipieren. Bis 2013 befinde man sich in einer Pilotphase (Lucyshyn), die Arbeitsgruppe sei noch bis voraussichtlich März 2010 beschäftigt, ein Konzept zu erstellen, das dann umgehend veröffentlicht werde. Vorbereitende Studien zu den BHS würden erst gemacht werden müssen. Sollte sich die Inkompatibilität zwischen AHS und BHS im Hinblick auf eine gemeinsame Aufgabenstellung erweisen, müsse man auch an eine andere Lösung denken (Blüml).

Die „4 skills-Matura“ in Deutsch sei eine Ente der Gewerkschaft, die methodische Herangehensweise der Fremdsprachenpilotversuche (u.a. Multiple Choice, wahr/falsch) werde für den Gegenstand Deutsch nicht übernommen (alle drei Herren). Es sei nicht daran gedacht, den Bereich Literatur auszuklammern, die schriftliche Deutsch-Reifeprüfung sei auch derzeit nicht dazu da, literaturwissenschaftliches Wissen abzufragen (Blüml). Inhaltliche Jahrgangsvorgaben nach deutschem Muster, etwa ein bestimmtes Schiller-Stück lesen zu müssen, werde es nicht geben. Daraus ergebe sich eine vorwiegend grundsätzliche Auseinandersetzung mit belletristischen Texten, freilich auf der Basis erworbenen Wissens zu ästhetischen Verfahren etc. (literaturwissenschaftliche Basisqualifikation nach dem Lehrplan). Allenfalls sei denkbar, der Aufgabenstellung Informationen zu Autoren, dem zeithistorischen Kontext etc. beizuschließen (Lucyshyn).

Die neue schriftliche Matura in Deutsch werde jedenfalls auf Textverstehenskompetenz, Argumentationskompetenz und Interpretationskompetenz abstellen. Die erwartete Schreibkompetenz schließe u.a. auch Planungs- und Reflexionskompetenz ein. Über den Umfang der einzelnen Teile habe man sich noch keine Meinung gebildet (Blüml). Eine speziell auf die neue Form der schriftlichen Reifeprüfung zugeschnittene Unterrichtsarbeit in der Oberstufe sei nicht nötig, denn die Matura werde sich ohnehin im Rahmen der gültigen Lehrpläne bewegen. Also ließe sich problemlos 2014 die erste allgemeine Umsetzung der neuen zentralen schriftlichen Matura vornehmen, die Pilotphase werde bis dahin dauern und diene dazu, Aufgabenbeispiele zu erproben und zu validieren sowie methodisch-didaktische Begleitmaßnahmen zu setzen (alle drei Herren).

Die IG Autorinnen Autoren werde an wichtigen Weggabelungen der Erarbeitung (Lucyshyn) zu weiteren Gesprächen eingeladen werden.

 

Anmerkung: Schon Ende Oktober hat sich die IG AutorInnen klar gegen die Zentralmatura in Deutsch ausgesprochen:

www.literaturhaus.at/headlines/2009/10/223/

Gegen die Zentralmatura in Deutsch

Die IG Autorinnen Autoren spricht sich ein einem Offenen Brief gegen die Zentralmatura in Deutsch aus und fordert Ministerin Claudia Schmied zu einer Reaktion auf. Hier der Originalwortlaut:

Die IG Autorinnen Autoren hat am 13.10.2009 in einem Schreiben an das Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur ihre schwerwiegenden Bedenken gegen die Zentralmatura in Deutsch aus der Sicht von Autorinnen und Autoren geäußert. Eine Reaktion auf dieses Schreiben ist bisher nicht erfolgt. Stattdessen haben wir via Medienberichterstattung von der Beschlußfassung der Zentralmatura am 21.10.2009 im österreichischen Parlament erfahren und davon, daß dieser Beschluß von allen im österreichischen Parlament vertretenen Parteien mitgetragen wurde.

Österreichische Schriftsteller/innen stehen nur wenig im Verdacht, sich Neuerungen und Änderungen zu verschließen, sie fordern sie, wie keine zweite gesellschaftliche Gruppe, in den allermeisten Fällen sogar. Da die Diskussion über die Zentralmatura in Deutsch von keiner politischen Seite aus mit keiner der von literarischer Seite aus betroffenen Gruppen gesucht wurde, eröffnen wir sie auf diesem Weg. Wir bitten um Kenntnisnahme unseres Standpunktes und vor allem der Ablehnung der Art und Weise des Zustandekommens des Beschlusses und des Denkens, das die Zentralmatura in Deutsch umgibt und begleitet.

Erklärung

Nicht nur namhafte Schriftsteller/innen, die auch als Lehrer/innen arbeiten, haben die IG Autorinnen Autoren dringend gebeten, das Gespräch mit Vertreter/inne/n des BMUKK und jenen Fachleuten zu suchen, die derzeit verbindliche Richtlinien für die Zentralmatura im Fach Deutsch erarbeiten. Man hätte sich erwarten dürfen, daß einer derart einschneidenden Änderung im österreichischen Bildungsgefüge umfangreiche Beratungen mit den betroffenen Lehrer/inne/n, aber auch etwa mit den Interessenverbänden der Literatur vorausgehen würden. Nichts davon ist geschehen. Und was bisher über die zu erwartenden neuen Regelungen zu unserer Kenntnis gelangte, bestätigt unsere Befürchtungen.

In dieser Erklärung wollen wir uns auf zwei Aspekte konzentrieren:

1. Streichung der Vertiefung einer Themenstellung durch einen Langtext:

Wir zitieren aus einer Analyse der Schriftstellerin und Deutschprofessorin Gudrun Seidenauer, die in einem Musischen Gymnasium auch das Maturafach Literatur unterrichtet: "Auch die Deutsch-Matura soll nicht mehr wie bisher aus einem zusammenhängenden Text bestehen. Ein vertieftes Argumentieren (oder Interpretieren) im Kontext eines hinreichend niveauvollen Themas bedarf allerdings einer gewissen Länge, um sich gedanklich folgerichtig auf einer adäquaten Reflexionsebene entfalten zu können. (Dies scheint also nicht mehr en vogue, eine Fähigkeit, die nicht als relevant genug bewertet wird, um sie als wesentlichen Teil einer Matura-Prüfung fordern zu dürfen. Dabei handelt es sich um eine Grundfähigkeit für einen selbständig denkenden, weitgehend eigenständig entscheidenden und urteilsfähigen Menschen, nämlich um die Fähigkeit, Meinungen und Ansichten argumentativ folgerichtig und differenziert darzustellen bzw. zu begründen!)."

Der Vorstand der IG Autorinnen Autoren schließt sich dieser Kritik an. Auch die Deutschmatura der grassierenden bits and pieces-Kultur zu unterwerfen, sie vornehmlich dem schwammigen Schwerpunkt Kommunikation zu widmen, und das mit allen bedenklichen Rückwirkungen auf den Unterricht der gymnasialen Oberstufe, ist ein Unding.

2. Verunmöglichung qualitätvoller Literaturthemen:

Die Zentralmatura im Fremdsprachenunterricht hat literarische Themenstellungen bereits erfolgreich abgeschafft. Nun soll auch im Deutschunterricht, wenn überhaupt, bestenfalls eine höchst allgemeine, durch keinerlei Vorkenntnis, also keinerlei Wissen über die betreffenden Schriftsteller/innen, historische oder literarische Bezüge getrübte Textinterpretation möglich sein. Dieses Vorhaben spricht unter anderem den Anliegen der von Österreich vor kurzem unterzeichneten UNESCO-Konvention zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksweisen Hohn und marginalisiert die schulische Auseinandersetzung mit Belletristik im allgemeinen, gar nicht zu reden von den Werken der Gegenwartsliteratur. Den Bürokrat/inn/en der Schulreform wird es auf diese Weise gelingen, reflektierendes Lesen ausführlicher Texte als Kulturtugend völlig ins Abseits zu befördern. Nur die schriftliche Reifeprüfung in Deutsch ist nämlich Pflicht, mündlich wählt das Fach nur ein kleiner Kreis ohnehin für Literatur empfänglicher Schüler/innen. Indem es den Lehrer/inne/n verunmöglicht wird, ihren Unterricht gezielt auf eine differenzierte schriftliche Matura hin zu konzipieren, die einige Kenntnisse zu Epochen, Werken und AutorInnen voraussetzt, etwa zu solchen, die im Rahmen der autonomen Kulturbudgets zu Dialogveranstaltungen an die Schule eingeladen wurden, kommt es unweigerlich zu einer Verwässerung der Substanz der schriftlichen Reifeprüfung.

Der Objektivierungsfiktion von Schulnoten in einem Gegenstand wie Deutsch anzuhängen und deshalb irgendwelche Institute mit einheitlichen Aufgabenstellungen für alle AHS zu betrauen, ist grotesk. Die IG Autorinnen Autoren wird sich nicht mit irgendwelchen abwimmelnden Expert/inn/en-Schreiben abfinden, die kritischen Einwänden von Lehrer/innen/seite mit den immer gleichen Hinweisen auf die internationale Vergleichbarkeit und Studierfähigkeit sowie auf die vorwissenschaftliche Arbeit in einem von den Kandidat/inn/en gewählten Fach etc. von der Substanz der vorgebrachten Kritik ablenken wollen. Die IG Autorinnen Autoren, die in konstruktiven Verhandlungen mit den Schulbuchverlegern und dem Ministerium erst im September 2009 eine schriftliche Vereinbarung zur Qualitätsverbesserung der Lese- und Literaturbücher für den Schulgebrauch erwirkt hat, ersucht daher nachdrücklich um eine breite, uns einbeziehende Diskussion der von uns aufgeworfenen Fragen. Nach ersten Kontaktgesprächen kann sich der Vorstand eine Enquete vorstellen, die den beschämenden Obrigkeitsgestus der Zentralmaturaerarbeitung im Fach Deutsch konterkarieren würde.

Gerhard Ruiss

IG Autorinnen Autoren

Wien, 22.10.2009

23.12.2009 18:30 Alter: 15 Jahre